Skip to main content

Mit dem Vergessen leben

In Deutschland gibt es 1,7 Millionen Demenzerkrankte. Oft begegnen uns Menschen mit Demenz im Alltag, in der Familie oder in der Nachbarschaft. Dennoch wissen die meisten Menschen nicht, wie sie sich Betroffenen gegenüber verhalten sollen. Einfühlsam und mit vielen Fakten informierte Hans-Dieter Mückschel von der Deutschen Alzheimergesellschaft e.V. im Januar die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen im Rahmen des Religions- und Ethikunterrichts über dieses Thema.

In dem 90-minütigen Kompaktkurs lernen die Jugendlichen Grundlegendes über das Krankheitsbild, z.B. die unterschiedlichen Formen von Demenz und deren Symptome. V.a. aber erfahren sie, wie sie den Umgang mit Betroffenen gut gestalten können. „Behandelt die Menschen nicht so, als kriegen sie nichts mehr mit!“, schärft Hans-Dieter Mückschel den Schülerinnen und Schülern ein, „denn das Herz und die Gefühle werden nicht dement, selbst wenn der Verstand abnimmt.“

Der Umgang mit Demenzkranken kann auf den ersten Blick schwierig und überfordernd erscheinen. Sie verhalten sich nicht mehr so, wie man es erwartet oder von früher kennt. Deshalb ist es besonders wichtig, sich auf die Welt des Demenzerkrankten einzustellen und seine Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen.

Um dies zu veranschaulichen, lädt Mückschel die Zehntklässler zu einem Gedankenexperiment ein: „Stell dir vor, du bist auf einer Klassenfahrt in China. In Peking, mitten auf dem Platz des Himmlischen Friedens, merkst du plötzlich, dass alle, Mitschüler und Lehrer, verschwunden sind. Auch der Bus ist weg. Du suchst, irrst herum, keiner versteht dich. Wie fühlst du dich?“ „Allein gelassen“, „verloren“, „verzweifelt“, „ängstlich“, „resigniert“ oder „wütend“, so lauten die Antworten der Jugendlichen.

„Ähnlich geht es auch Menschen mit Demenz“, erläutert Mückschel. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen. „De mens“ bedeutet ohne Geist, ohne Verstand zu sein. Typische Symptome dieser Krankheit sind eine anhaltende und fortschreitende Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit. Dazu gehört v.a. der Verlust des Gedächtnisses. Doch Demenz ist weitaus mehr, wie der Referent betont. Es treten Orientierungsprobleme auf, das Denkvermögen lässt nach, es kommt zu Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Mit fortschreitender Krankheit ziehen sich die Betroffenen deshalb sozial immer mehr zurück und sind zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen. „Die meisten Menschen mit Demenz sind 65 Jahre und älter. Aber auch junge Menschen sind betroffen. Derzeit gibt es in Deutschland 1,7 Millionen Menschen, die an Demenz leiden, und die Zahl der Erkrankten nimmt zu. Demenz kann jeden treffen. Dennoch gibt es bis jetzt noch keine Heilung“, so der Referent.

Menschen mit Demenz brauchen ein informiertes und sensibles Umfeld, davon ist der Referent überzeugt. Deshalb ist er von der Aufgeschlossenheit der Zehntklässler besonders angetan. Mit viel Einfühlungsvermögen diskutieren sie, welche Hilfestellungen den Umgang mit Demenzkranken erleichtern. Da sich das Kommunikationsverhalten der Betroffenen verändert hat, ist es wichtig, nicht zu viele Informationen auf einmal zu geben, sondern möglichst nur eine. Oft nützt es nicht, den Kranken von der eigenen Meinung zu überzeugen, etwa wenn er mitten in der Nacht vollständig angezogen zur Arbeit gehen möchte, obwohl er doch schon viele Jahre lang in Rente ist. Hier helfen lange Erklärungen nicht weiter. Vielmehr sollte man versuchen, ihn zu verstehen, einfühlsam auf seine momentane Stimmung einzugehen und ihn zu beruhigen. Und wenn die Orientierungslosigkeit so weit fortgeschritten ist, dass der Demenzkranke die Toilette nicht mehr alleine findet, können eine farbige Markierung der Toilettenschüssel oder Lampen, die über Bewegungsmelder funktionieren, Abhilfe schaffen. Dass die Pflege von demenzkranken Angehörigen eine große Belastung ist, weiß Hans-Dieter Mückschel aus eigener Erfahrung. Deshalb legt er den jungen Menschen ans Herz, sich in einer solchen Situation Hilfe zu holen, bevor man selbst körperlich und seelisch am Ende ist. Selbsthilfegruppen z.B. der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. oder ehrenamtliche Demenz-Helferinnen und Helfer stehen Betroffenen und Angehörigen dabei zur Seite.